IVR

Die Invalidenversicherung IV ist dank Rentenkürzungen seit 2012 in der Lage, jedes Jahr ca. 800 Millionen Franken Schulden an die AHV zurückzuzahlen. Dadurch entstehen aber höhere Krankheitskosten, welche die Kürzung der Rente bei den Betroffenen verursacht.

Die Fakten

Gemäss Website des Bundesamtes für Sozialversicherungen BSV ist das Ziel der 6. IV-Revision vom 9.1.2012: «Wiedereingliederung von Menschen aus der Rente in die Erwerbstätigkeit, Einführung des Assistenzbeitrags zur Förderung einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung von Menschen mit einer Behinderung, Einsparungen als massgeblicher Beitrag zur finanziellen Konsolidierung der IV». Seit 2006 nahm die Zahl der gewichteten Renten bereits um 38‘400 ab, trotz Bevölkerungswachstums von gut einer Million. Die Zahl der zugesprochenen Neurenten halbierte sich von 28‘000 (2002) auf jährlich 14‘000 seit ca. 6 Jahren. Die IV ist seit spätestens 2012 in der Lage, jedes Jahr ca. 800 Millionen Franken Schulden an die AHV zurückzuzahlen. Anlässlich von Rentenrevisionen wurden 2016 in den Kantonen Aargau und Zürich zusammen weiterhin mehr als 1‘000  IV-Renten aufgehoben und mehr als 600 reduziert, was bei einem Total von ca. 9‘000 Rentenrevisionen entspricht.

Die Problematik

Es wurde juristisch ermöglicht, den sogenannten PÄUSBONOG-Pat (pathogenetisch ätiologisch unklare syndromale Beschwerdebilder ohne nachweisbare organische Grundlage) die IV Rente abzusprechen, also vielen Schmerzpatienten, Schleudertraumapatienten etc. Doch auch Patienten mit MS, Krebs etc. können die Rente verlieren, ebenso Depressive. Jederzeit können Rentner zu Arbeitsintegrationsmassnahmen aufgeboten werden. Anlässlich von Rentenrevisionen (normalerweise alle 5 Jahre) können Renten aufgehoben oder reduziert werden. Dies schafft neben sozialem Elend steigende Krankenkosten, welche die IV zulasten der Prämienzahler verursacht, indem sie für sich spart. Der Verein Ethik und Medizin Schweiz hat deshalb die VEMS-Arbeitsgruppe IVR zusammengestellt, um die Missstände zu beheben. Die Gruppe arbeitet auf zwei Ebenen: IV-Rentenlupe (Rechtspraxis) und IV-Revision (Rechtsgrundlagen)

Aufgaben der Gruppe IV-Rentenlupe

IV-Rentenlupe erstellt auf der Mikroebene der Praxisarbeit Evidenzgrundlagen und geht Massmahmen an, um in konzertierten Aktionen wie gegebenenfalls Sammelklagen direkt gegen die derzeitige Rechtspraxis vorzugehen. Die einfache Beteiligung an IV-Rentenlupe durch Erfassen von Fällen ist unkompliziert auf der Website http://www.kardiolab.ch/rentenlupe.htm möglich; hier wird eine breite Beteiligung angestrebt, um so eine solide Datengrundlage zu erarbeiten. Gür die weiterführende Arbeit von IV-Rentenlupe sollen Persönlichkeiten gewonnen werden, welche mit den zu behandelnden Problemen in ihrer täglichen Arbeit zu tun haben, also Ärzte, Patientenschützer, Sozialarbeiter etc. Hier geht es nicht zuletzt auch darum, eine Einigkeit unter den behandelnden Fachpersonen wiederherzustellen, um sich im Interesse ihrer Patientinnen und Patienten gemeinsam gegen die Vereinnahmung der Behandlungsentscheide durch fachfremde Gremien und Personen zu wehren.

Aufgaben der Gruppe IV-Revision

Die Gruppe IV-Revision der Arbeitsgruppe soll die ökonomischen, die ethischen, die versicherungsrechtlichen, die medizinisch-psychiatrischen und die sozialen Aspekte eruieren, um Fragen der Änderung von Rechtspraxis und Rechtsgrundlagen anzugehen. Bezüglich der Rechtspraxis gilt es, Klarheit zu folgenden Punkten zu schaffen:

  • Die Patientengutachten der Invalidenversicherung werden heute stärker gewertet als die Einschätzung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Hier stellen sich verfahrensrechtliche Fragen. Auch stellt sich die Frage der Unabhängigkeit der von der Invalidenversicherung finanzierten Gutachter, insbesondere da, wo die Invalidenversicherung bei einer Einschätzung, die zum Schluss kommt, dass die Rente nicht zu streichen sei, einfach weitere Gutachten einholt, so lange, bis sie von einem Gutachter die gewünschte Einschätzung erhält.
  • Die Weiterführung der Verfahren auf die derzeitige Art und Weise führt zu einem Anstieg vermeidbarer Behandlungskosten. Die Intention der Rentenverweigerung indes ist die einer therapeutischen Massnahme. Damit trifft die Invalidenversicherung einen Behandlungsentscheid, und als solcher muss die Massnahme die WZW-Regel des KVG bezüglich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen. Hier müssten die Versicherer allenfalls Regressforderungen an die IV stellen. Sie prüfen diese aber nicht einmal. Es stellt sich die Frage, ob dieses Versäumnis eine Verweigerung ihrer in der WZW-Regel des KVG formulierten Pflicht ist.

Bezüglich der Rechtsgrundlagen soll die Gruppe Klarheit zu folgenden Punkten schaffen:

  • Das Bundesgesetz zur Invalidenversicherung lässt der Versicherung und ihren Gutachtern einen ungebührlichen Freiraum. Daraus entstehen medizinethisch problematische Situationen. Es stellt sich die Frage, ob das Schweizer Gesetz zur Invalidenversicherung in der heutigen Form kompatibel ist mit internationalen Konventionen wie der Strassburger Konvention für Menschenrechte.
  • Im Bundesgesetz zur Invalidenversicherung ist unter Art. 4 zu lesen: «Die Prognose über den übertherapeutischen Effekt der Rentenverweigerung muss an sich mit (überwiegender) Wahrscheinlichkeit gestellt werden können …». Das Gesetz geht also davon aus, Rentenverweigerung führe zur beruflichen Integration. Diese Annahme wurde nicht verifiziert und hat sich inzwischen falsifiziert. Somit stellt sich die Frage, ob die Situation der Gesetzesgrundlage ohne weitere Prüfung der Effekte haltbar ist.

Während die Datensammlung läuft, erarbeitet der Expertenrat IV-Revision in Absprache mit der praktischen Arbeitsgruppe IV-Rentenlupe ein Positionspapier, in welchem obigen Fragen aus der Sicht der verschiedenen tangierten Bereiche nachgegangen wird. Wir werden an dieser Stelle informieren, wenn ein entsprechendes Papier vorliegt.