Es gibt klare Anforderungen an die Wissenschaftlichkeit: Unvoreingenommenheit, Transparenz, intellektuelle Redlichkeit. Viele Studien der Schweizer Public Health erfüllen diesen Anspruch nicht. Solche Studien schaden unserem Gesundheitswesen.
Die Fakten
Um den Bedarf an Leistungen in Heilung und Prävention zu gewährleisten, bedarf es der Versorgungsforschung und der daraus folgenden Beschlüsse auf politischer und gesetzlicher Ebene. Die Versorgungsforschung ist damit eine grundlegende Wissenschaft, deren Qualität erstrangig zu sein hat und die den Auflagen an die Wissenschaftlichkeit unbedingt und in jeder Hinsicht genügen muss. Public Health-Studien sind aber sehr komplex und entsprechend teuer. Ein kleines Land wie die Schweiz stösst da naturgemäss an seine Grenzen. Die logische Konsequenz daraus wäre die, wo immer möglich Analysen von Studien grösserer, vergleichbarer Länder wie Deutschland oder Dänemark durchzuführen und aufwändige Primärstudien nur wo nötig und mit vereinten Kräften verschiedener Institute zu erstellen. Die Schweiz geht einen anderen Weg – den falschen: Zu viele, zu kleine Institute erstellen zu viele, zu billige und zu wenig aussagekräftige Studien. Das Resultat sind dann immer noch so wenige Studien, dass sie in einem kleinen Land wie der Schweiz zu viel Gewicht haben, was aufgrund ihrer mangelnden Aussagekraft zu grosser Irritation mit verheerenden gesundheitspolitischen Implikationen führen kann, weshalb der VEMS diese Janusstudien nennt und fordert, sie mit effektiven Zweckmässigkeitsstudien zu ersetzen.
Die Problematik
Erstellt auf der Datengrundlage der Versicherer, stellt das Gros der Schweizer Public-Health-Studien Unterversorgung fest. Fakt ist, dass in den Datengrundlagen wichtige, die zu untersuchenden Sachverhalte begründende Variablen gar nicht erfasst sind. Die Schlüsse sind deshalb falsch. Mit fataler Folge: Eine Versorgung, die auf einer mangelhaften Erhebung des Bedarfs basiert, kann nicht adäquat sein. Da sie am effektiven Bedarf aber natürlich nichts ändert, kommt es zu einer Unterversorgung. Mit der Folge entweder eines Mangels oder einer Verschiebung des Leistungserbringers: der Bedarf wird anderswo befriedigt. Im Gesundheitswesen findet tendenziell Letzteres statt, denn die Erhaltung der Gesundheit ist ein Grundbedürfnis. Solche Verschiebungen sind bei den Fallpauschalen zu beobachten, mit deren Einführung die Kosten in der spitalexternen postoperativen Betreuung anstiegen. Eine ungenügende Versorgung mit Spezialärzten führt zu einem ähnlichen Verschiebungseffekt: eine Kostenausweitung im ambulanten Bereich der Spitäler, wo der Spezialarzt mehr Anreize hat, unnötige Behandlungen durchzuführen als in seiner Praxis. Gleiches gilt für Steuerungsentscheide wie Zulassungsstopps oder Angebotsbeschränkung der frei praktizierenden Ärzte vermittels Wirtschaftlichkeitsverfahren (siehe hierzu den Beitrag unseres Präsidenten im Tagesanzeiger vom 16.9.2017).
Die Aktivitäten des VEMS im Dossier Public Health
In unserem Dossier Peer-Review überprüfen wir Arbeiten der Versorgungsforschung und fassen unsere Einschätzung jeweils auf wenigen Seiten zusammen. Diese Berichte sind die wissenschaftliche Grundlage für unser Agieren im Dossier Public Health. Unseren diesbezüglichen Standpunkt haben wir in einer Stellungnahme zur Versorgungsforschung der Schweiz ausformuliert sowie in einem Beitrag im Jahrbuch 2014 des Denknetz Schweiz und in einem Artikel in der Ärztezeitung aufbereitet. Zwei wichtige Kritiken mangelhafter Studien:
- Die Studie Studie «Geographic variation in the costs of ambulatory care in Switzerland» von André Busato et al. vom Oktober 2011 ist wegweisend für eine komplett fehlgeleitete Versorgungsforschung der Schweiz. Wir haben sie im September 2012 von Prof. Jürgen Wasem reviewen lassen. Sein Bericht kommt zum Schluss, dass sie mangelhaft ist und in mehreren Punkten die Richtlinien der GEP verletzt. Welche gefährlichen Implikationen dies hat, haben wir im Oktober 2012 in einer VEMS-Stellungnahme festgehalten. Dies haben wir auch in einem Brief an das EDI geschrieben. Ebenfalls haben wir eine Eingabe beim Ethikrat für Statistik gemacht.
- Zur Studie «Mengen und Preise der OKP-Leistungen» von Reto Schleiniger et al. aus dem Jahr 2013 haben wir ebenfalls eine Einschätzung von Prof. Wasem eingeholt und dies den Autoren mitgeteilt. Ihre Antwort zeigt die Probleme fast noch besser auf als unsere Analyse.
Seitdem haben wir einige Studien beurteilt, uns mit den Autoren ausgetauscht und unseren Standpunkt in der Presse kundgetan, eine Arbeit die laufend fortgeführt wird. Sie finden die Reviews dieser Studien im Dossier Peer Review.