Fairness

Die Trägerorganisation des VEMS ist die Stiftung für Fairness im Gesundheitswesen Fairfond. Doch was bedeutet dies für unsere Arbeit als medizinischer und wissenschaftlicher Verein? Sehr viel.

Kluge Präventionskonzepte könnten 50% der Krebserkrankungen und 90% der Herz- und Hirnschläge vermeiden. Sie zielen darauf ab, die Krankheitslast auf die letzten Lebensjahre zu konzentrieren, um eine Krankheitskompression zu erreichen, wie sie James Fries vorgeschlagen hat. Das Narrativ, welches diesen Gedanken transportiert, ist dies eines gesunden, langen Lebens – eines Lebens also, das lang ist, weil es gesund ist, aber auch gesund, weil es lang ist. Denn ein solches Leben entspricht der optimistischen Grundhaltung, seine Möglichkeiten als Mensch auszuschöpfen. Die Etablierung des Konzepts der Krankheitskompression ist also die fairste und zugleich die kosteneffizienteste Möglichkeit, unser Gesundheitswesen auszugestalten. Diesen Gedanken wollen wir beliebt machen.

Der Verein smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland promoviert ein Konzept, welches antritt, das Problem der medizinischen Überversorgung (Overuse) anzugehen. Hierzu werden von den verschiedenen Fachgesellschaften Top-Five-Listen herausgegeben von Eingriffen, die zu streichen sind. Die Problematik hierbei ist nicht so sehr die Absicht, die klar zu unterstützen ist, als der zu erwartende Erfolg. Ein solcher ist in den USA, wo die Initiative seit längerem läuft, zumindest fragwürdig. Es könnte sein, dass Streichlisten den gegenteiligen Effekt haben. Wenn Ärztinnen und Ärzte von solchen Streichlisten nun aber motiviert werden, eher ein bisschen mehr zu machen als etwas weniger, dann haben wir das Problem einer Reaktanz. Darunter versteht man ja nicht einfach Trotz, sondern eine Abwehrreaktion gegen Einschränkung der persönlichen Freiheit durch Verbote und Zensur, gegen Druck, sei er innerlich oder äusserlich, in der Form von Drohungen oder «nur» emotional. Dies gilt es, ernst zu nehmen, denn es treibt die Kosten eher, als es sie senkt. Auch entsprechen bevormundende Ansätze nicht der Dynamik der Arzt-Patienten-Beziehung. Präventive Ansätze hingegen nehmen ihn in erster Linie ernst und erst dann in die Pflicht. Dies motiviert und stärkt Kräfte, gemeinsam mit dem Arzt kluge Entscheidungen zu fällen.

Lesen Sie hierzu unser Positionspapier vom Dezember 2018.

Das enorme Potential einer Präventivmedizin nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen liegt darin, Krankheiten zu vermeiden bzw. gegen das Lebensende zu verschieben, wo in der Regel die Versorgungskosten deutlich geringer sind. Das Lebensende wird aufgeschoben, die Versorgungskosten vor dem späteren Lebensende sind dann aber in der Regel deutlich geringer. Dies birgt enorme Sparmöglichkeiten. Der Abbau präventiver medizinischer Behandlungen hingegen ist ein Sparen am falschen Ort und hat dramatische Konsequenzen auf die Volksgesundheit. Die Folge sind exponentiell zunehmende Kosten in der Behandlung vermeidbarer Krankheiten und ein hoher Pflegebedarf im Alter.

Die Anreizsysteme unseres Gesundheitssystems sind allerdings so ausgestaltet, dass die Präventivmedizin für keinen Akteur attraktiv ist. Die Krankenkassen erhöhen damit ihre Ausgaben, mit der Gefahr, dass ihnen die solcherart klein gehaltenen Risiken zu einer billigeren Kasse abwandern. Die Medizin verdient ihr Geld an der Behandlung von Krankheiten, nicht an ihrer Verhinderung, welche aus falsch verstandenem Spardenken immer mehr unter Druck gerät. Den Kantonen ergeht es ähnlich wie den Kassen, und die Industrie investiert dort, wo es sich lohnt. Der Ruf, Krankheiten vorzubeugen, und der Appell an die Eigenverantwortung der Versicherten und Patienten sind praktisch wirkungslos, wenn auf der strukturellen Ebene nicht gezielt Anreizsysteme zur Förderung einer alle fünf von Fries definierter sowie weiterer Risikofaktoren umfassenden Präventivmedizin installiert werden. Die Mittel, welche heute aus falsch verstandenem Spardenken in die Beschneidung einer solchen Präventivmedizin gesteckt werden, könnten grosse Früchte tragen, würden sie zu ihrer Förderung verwendet. Dies bedingt allerdings ein koordiniertes Agieren aller Akteure.

Lesen Sie hierzu unser Konzeptpapier vom September 2018.