Was ist auf dem Weg von Hippokrates zur Bioethik unserer Tage verlorengegangen?
Unser Positionspapier «Von Hippokrates zur Medizinische Bioethik» geht den Gründen nach, welche zur in den letzten Jahren immer mehr spürbaren Entfremdung von behandelnder Medizin und Medizinethik geführt haben könnten. Die Medizin fühlt sich von der Ethik verstanden und unterstützt, wenn es darum geht, in den etischen Kommissionen Behandlungssituationen zu besprechen. Unsere Ethikinstitute arbeiten aber auch auf der Makroebene unseres Gesundheitswesens, wo sie in medizinethischen und/oder in interdisziplinären Gremien Beurteilungen und Empfehlungen erarbeiten. Bei etlichen für die Behandlungspraxis entscheidenden Empfehlungen geht die Initiative aber nicht von der Ethik aus und auch nicht von der Medizin. Vielmehr kommt sie aus der Gesundheitsökonomie der Krankenkassen und/oder aus der Politik.
Die vorgelegten Hochrechnungen können folglich auch von Partikularinteressen geleitet sein. Entsprechend wären sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen, bevor ethische Schlüsse daraus gezogen werden, aus denen dann seinerseits das Recht Schlüsse zieht, die dahingehend eine verdeckt implizite Normativität der Ökonomie bedeuten, als abweichendes Behandlungsverhalten strafrelevante Folgen haben kann. Damit haben wir eine neue Klasse medizinischer Dilemmata. Sie haben ihren Grund nicht in medizinischen Sachverhalten, sondern im Nichtfunktionieren der Regulative der Gesundheitsökonomie. Die Ethik kann der Medizin bei der Bewältigung dieser Dilemmata nicht helfen, weil sie selber sie (mit)verursacht hat.
Wir untersuchen die Entwicklung der Medizinethik von der Medizinethik in der Tradition des hippokratischen Eids zur eigenständigen Disziplin und von dieser zur heutigen Medizinethik als Teil der beides, Tier- und Menschenrechte umfassenden Bioethik unserer Tage. Dabei stellen wir eine erfreuliche Tendenz fest, Tierrechte auszuweiten, wobei aber gleichzeitig und mit der gleichen Logik Menschenrechte beschnitten werden. Ebenfalls festzustellen ist, dass die Ethik heute zunehmend eine utilitaristische Herangehensweise hat. Diese schafft eine Anschlussfähigkeit an ökonomisch-neoliberale Ansätze, die problematisch sein kann, weil sie die Patientensicherheit unter Umständen systematisch gefährdet.